Wie kann ich mein Genital kennenlernen?
Wenn wir als Baby auf die Welt kommen, wollen wir berührt, gestreichelt, geküsst und gehalten werden. Dies vermittelt den kleinen Lebewesen, dass sie geliebt und sicher aufgehoben sind. Bereits ab Tag eins beginnen die verschiedenen Körperberührungen der engen Bezugspersonen. Im Zusammenhang mit dem Wickeln auch die Berührung der Genitalien. Bereits dort macht unser Gehirn Verknüpfungen wie unser Genital bewertet wird:
Wie reagiert die Person, wenn sie die Genitalien sieht?
Wie ist dabei der Gesichtsausdruck?
Auf welche Art wird das Genital berührt?
Welche Worte begleiten das Wickelprozedere?
Auf jeden Fall nehmen schon Babys diese Feinheiten wahr. Wenn es später um den Spracherwerb geht, fliesst die Konnotation in die Benennung zum Geschlecht ein.
„Schnäggli, Schätzli, Löchli, Pippi, Puller, Fifi, Scheide, Mumu“ (Diese Liste könnte ich noch ewig weiterführen…!) sind Bezeichnungen, welche Kleinkinder in ihrem Wortrepertoire haben, wenn sie von ihrem Genital sprechen. Verniedlichungen, teilweise auch Abwertungen und absurde Bezeichnungen, welche ein „erstes Kennenlernen“ prägen. Wie ist wohl die Beziehung zum eigenen Genital, wenn diese Menschen erwachsen sind? Sprechen sie dann immer noch von „Schnäggli“ oder „Pipi“? Wollen wir das?
Als Mutter und Sexologin möchte ich allen Eltern ans Herz legen, dass sie die Genitalien ihrer Kinder folgermassen bezeichnen: VULVA und PENIS. Letztlich sind auch nicht nur Eltern an dieser Benennung beteiligt, sondern auch Lehrpersonen, Erzieher:innen, Fachpersonen usw..
Vielen Eltern scheint dies zu „abgehoben“ oder zu „erwachsen“. Doch meine Erfahrung in der sexologischen Praxis ist, dass auch erwachsene Menschen noch „Mumu“ oder „Pfifli“ sagen. Wie sich diese Benennung auf unsere Wahrnehmung des eigenen Körpers, auf die Geschlechtsidentität und schliesslich auf unsere Wahrnehmung als sexuelles Wesen auswirkt, zeigt sich bei mir in der Praxis in Basel. Viele Menschen kennen ihr Genital nicht – haben keinen oder wenig Bezug dazu! Dies hat auch einen Einfluss auf unser Sexleben.
Auf jeden Fall liegt dies nicht ausschliesslich an der Benennung ihres Genitals, sondern wie sie dadurch auch eine Beziehung zu sich und ihrem Körper aufbauen konnten. Unsere Sprach beeinflusst unser Denken, unser Fühlen und schliesslich unser Sein.
Deshalb möchte ich Menschen dazu ermutigen: Schaut euer Genital im Spiegel an, begrüsst es, berührt es auf vielfältige Arten und spiel damit (mit oder ohne Sextoy)! Lernt euer Genital kennen! Denn auf diese Weise erfahrt ihr, was euch gefällt, was ihr erregend, was ihr befriedigend und schön beim Sex mit euch selbst oder mit anderen Menschen findet.
Der Bezug zum eigenen Geschlecht bestärkt Menschen im Ganzen und fördert eine selbstbestimmte, freie und ganzheitliche Wahrnehmung des ganzen Körpers!
Melina Dobroka, Sexologin, Basel
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