Wenn Menschen das Wort „Orgasmus“ in der Therapie laut aussprechen, beginnen oftmals ihre Augen zu strahlen. Eine kleine Entladung, und die verbundenen Emotionen werden dadurch sichtbar. Ein Orgasmus ist ein Höhepunkt. Ein Höhepunkt, der bei einer sexuellen Handlung reflexartig abläuft. Ein Orgasmus kann sowohl in der Paarsexualität, als auch beim Solosex (Masturbation oder auch Selbstbefriedigung genannt) empfunden werden.
Was jedoch, wenn es nicht funktioniert? Oder wenn es nicht mehr funktioniert?
Mein Anliegen
Das Thema Orgasmus ist ein so intimes und persönliches Thema, dass bei vielen Menschen Scham und Unsicherheit mitschwingt. Um dies zu verändern, und betroffenen Menschen, welche keinen Orgasmus erreichen und sich dies (wieder) wünschen, widme ich diesen Blogbeitrag. Gleichwohl geht es mir auch um einen aufklärenden Charakter, um das Thema zu enttabuisieren.
Was sind die Ursachen für das Ausbleiben eines Orgasmus?
Verschiedene Faktoren wie Stress, Ängste, Gedankenkarussell, Schwierigkeiten oder Probleme in der Beziehung, der körperliche und gesundheitliche Zustand, limitierte sexuelle Lernschritte oder auch körperliche Spannungszustände können einen Einfluss auf die Orgasmusfähigkeit eines Menschen haben. Diese Gründe haben folglich negative Auswirkungen auf den Selbstwert, die sexuelle Selbstsicherheit und/oder können als grosse Belastung für das Individuum und demnach als Bedrohung für die Paarbeziehung angesehen werden.
Wann hatte ich meinen letzten Orgasmus?
„Ich muss ehrlich sagen, dass ich mich nicht erinnern kann, wann ich das letzte Mal einen Höhepunkt hatte. Ich weiss einfach, dass ich mir das so sehr wünsche. Ich spüre jedoch ganz genau, ob es geht oder nicht. Dann gebe ich meistens auf… .“
Monika*, 38 Jahre
Wenn ich Klient:innen nach ihrem letzten Orgasmus frage, kommen viele ins Grübeln, fangen an zu lachen oder verdrehen die Augen. Das Ausbleiben des Orgasmus macht emotional, jedoch auch körperlich etwas. Genau damit arbeite ich dann in der Therapie (siehe „Meine drei liebsten therapeutischen Interventionen).
Als Sexologin stelle ich meinen Klient:innen folgende Fragen:
- Besteht das Ausbleiben des Orgasmus bereits seit jeher oder entstand dieser Umstand im Verlauf des Lebens?
- Besteht das Problem generell oder ist es situationsabhängig?
- Bleibt der Orgasmus ausschliesslich in der Paarsexualität aus? (unabhängig von der Stimulationsart der Partner:in)
- Fehlt der Orgasmus ausschliesslich bei der Penetration?
- Kann der Orgasmus in der Solosexualität erreicht werden?
Aufgrund von diesen Fragen kann ich mir ein erstes Bild vom Auftreten und/oder Fernbleiben des Orgasmus machen und weitere Schritte in der Therapie initiieren. Tendenziell merke ich, dass bei vielen Klient:innen die Solosexualität oftmals gut funktioniert und der Orgasmus lediglich in der Paarsexualität nicht gelingt. So ist es auch bei meinem Klienten Urs*:
„Wenn ich mich selber berühre ist es kein Problem. Ich weiss, was ich mag und kann dem nachgehen. Sobald meine Frau dabei ist, muss ich funktionieren. Manchmal macht mein Penis richtig weh, und ich spüre noch tagelang die Schmerzen. Das frustriert mich noch mehr und erinnert mich auch daran, dass es nicht funktioniert hat.“
Urs*, 53
Die Sichtweise ändern
Wie ist es für Monika* oder Urs* möglich aus diesem Teufelskreis herauszukommen? Ein Satz ist mir hängen geblieben! (Leider erinnere ich mich nicht, wo ich ihn gelesen habe.)
Er lautet folgendermassen:
„Es ist kein OrgasMUSS, sondern ein OrgasKANN.“
unbekannt
Dieser kurze, jedoch prägnante Satz öffnet Türen. Er kann erleichtern und seine Wirkung entspannt. Viele Menschen gehen davon aus, dass bei allen anderen Menschen der Orgasmus einfach funktioniert und nur bei ihnen etwas fehlt. Sie fühlen sich defizitär. Alle können es, nur sie nicht! Wenn ein Orgasmus zum Sex dazugehören MUSS, dann kann dies für einige Menschen bereits Druck bedeuten. Denn, wenn es nicht klappt, ist die Hölle los, der Druck wird erhöht und Sex bedeutet allgemein Frust. Die Erwartungen an den Höhepunkt und die damit verbundenen Gefühle können in der Partnerschaft ausgetauscht werden und auch schon zur situativen Erleichterung beitragen.
Meine drei liebsten therapeutischen Interventionen
In der Sexualtherapie arbeite ich neben Gesprächssequenzen auch mit Körper- und Wahrnehmungsübungen. Diese stützen die Vorstellung der „Körper und Geist“-Einheit.
- Kennenlernen des eigenen Genitals (einschliesslich des Beckenbodens): unterschiedliche Berührungen an Genital, im Spiegel anschauen, das Genital allgemein anschauen, dabei verschiedene Positionen einnehmen, aussen (+innen bei den Frauen) erkunden
- Solosex als Übungsfeld: Variation der Körperhaltung, Muskelspannung, Beobachtung der Atmung, Becken in Bewegung bringen (obere Schaukel)
- Schaukelbewegungen: begleitet durch fliessende Atmung und Bewegungen
Es sind daher meine Lieblingsinterventionen, da sie viel bei den Menschen auslösen und einfach in der Umsetzung sind. Dabei ist es zentral für mich, was die Klient:innen erleben und worauf sie sich beim Spüren achten. Dies greife ich in der Folgesitzung auf, vertiefe die Erlebnisse/Erkenntnisse und/oder wiederhole ggf. .
„Spüren“, sprich Wahrnehmung und körperliches Empfinden, sind bei Menschen, welche keinen Orgasmus erleben in den Hintergrund geraten. Nicht, dass sie nichts spüren. Nein, so einfach ist es nicht! Ihr Fokus ist meistens zielstrebig und spezifisch, sodass alles andere ausgeblendet wird. Dies gilt es in der Sexualtherapie zu verstehen und zu überdenken. „Meine therapeutischen Spielereien“ und Anregungsmöglichkeiten sollen die Menschen dazu befähigen, sich weiterzuentwickeln und auf unerforschte und vielleicht auch unentdeckte Erkenntnisse und Empfindungen zu treffen. Auf diese Weise wünsche ich allen Menschen ein Leuchten in den Augen, wenn es um das Thema Orgasmus geht und ein gigantisches Feuerwerk dazu!
*Die Namen der Klient:innen wurden geändert.