Sexualtherapeutin setze ich mich wiederholt mit vielfältigen und interessanten Lebensgeschichten auseinander. Menschen finden zu mir in die Praxis in Basel, weil sie Schwierigkeiten mit ihrer Sexualität haben und folglich auch einen hohen Leidensdruck verspüren. Dieser Leidensdruck kann auch die Liebesbeziehung oder andere Beziehungen beeinflussen und somit noch mehr Druck auslösen.
Druck hat erhebliche Konsequenzen auf die Erektion. Hier beleuchte ich was Erektionsstörungen sind, welche Gründe dies haben kann, und wie ich in der Therapie damit arbeite.
Eins schon mal vorweg: Die Erektionsfähigkeit eines Menschen verändert sich im Lauf des Lebens. So ist es auch absolut normal, dass die Erektion einmal nicht funktioniert oder schwankt!
Was ist eine Erektionsstörung?
„Die erektile Dysfunktion ist eine andauern oder wiederkehrend auftretende Schwierigkeit oder Unfähigkeit eine funktionelle Erektion – bezogen auf Volumen und Härte– herzustellen oder aufrecht zu erhalten.“ (K. Bischof, A. Bischof-Campbell, S. Fuchs, (2020): Ausbildung in Sexocorporel, Heft 4, S. 4.
Nach ICD-11 wird diese Definition bestätigt. Hinzu kommt, dass die Erektionsstörung trotz sexuellem Begehren und der Stimulation des Penis bestehen kann. Es kann von einer Erektionsstörung gesprochen werden, wenn die Schwierigkeit seit mehreren Monaten besteht, und der subjektive Leidensdruck zunehmend steigt.
In der Definition wird noch unterschieden, ob eine Erektionsstörung schon immer vorhanden gewesen ist, oder ob diese sich im Verlauf des Lebens entwickelt hat. Des Weiteren wird festgehalten, ob die Erektionsstörung allgemein auftritt oder situationsabhängig vorkommt. So kann es sein, dass gewisse Menschen ausschliesslich in der Paarsexualität mit einer Erektionsstörung kämpfen, beim Solosex hingegen alles einwandfrei funktioniert.
Was hat Druck mit Erektionsstörungen zu tun?
Folgende Szenarien sind denkbar, wenn es um Druck und die Auswirkungen dessen auf die Erektionsstörungen geht:
Der Druck…
- …keinen Sex haben zu können, obschon man will.
- …sich als Versager zu fühlen.
- …das Gegenüber nicht „richtig“ befriedigen zu können.
- …kein „echter“ Mann zu sein.
- …keine sexuelle Lust mehr zu empfinden, wegen der Erektionsstörung.
Diese Gründe können dazu führen, dass Menschen, welche an einer Erektionsstörung leiden, erheblichen Druck verspüren und dies des Weiteren auch Auswirkungen auf das Wohlbefinden allgemein oder auf das sexuelle Begehren haben kann.
Körperliche Ursachen
Neben den psychologischen Faktoren, spielen auch die körperlichen Einflüsse eine Rolle bei der Entstehung der Erektion. Wenn eine Erektionsstörung mit der Zeit entsteht, ist es sinnvoll eine urologische Abklärung in Erwägung zu ziehen. Wenn der Penis nächtliche und morgendliche Erektionsreaktionen zeigt und auch bei der Solosexualität funktioniert, kann davon ausgegangen werden, dass auf der körperlichen Ebene alles in Ordnung ist. Welche emotionalen Folgen kann eine Erektionsstörung dennoch haben?
Emotionale Folgen und weitere Nachwirkungen der Erektionsstörung
- Gedankenkarussell
- Leidensdruck
- Scham
- Sprachlosigkeit
- fehlender und begrenzter Bezug zum Körper
- sexuelles Unwohlsein
- sexuelle Unlust
Die Auflistung ist nicht vollständig und beinhaltet keinen hierarchischen Ablauf. Dennoch berichten viele Klienten von diesen Symptomen in der Therapie. Was hat dies zur Folge?
Bin ich normal?
Besonders die Frage: „Bin ich normal?“ treibt viele Menschen zu mir in die Praxis und obschon das Thema Erektionsstörungen in vielen Studien und auch medial ein verbreitetes Thema ist, scheint auch hier die Frage zentral. Hier betonte ich deutlich: Ja, es ist normal, dass der Penis nicht immer einwandfrei steht oder die Härte schwankt!
Klienten, welche an einer Erektionsstörung leiden, stellen ihre Männlichkeit in Frage. Somit wird auch in Männerrunden oder unter Freunden eher spärlich über das Thema gesprochen, weil die Infragestellung der Männlichkeit sehr persönlich und mitunter auch emotional sein kann. Das bedeutet, dass die Sexualtherapie einen entscheidenden Einfluss haben kann, dem Fortschreiten der Erektionsunfähigkeit entgegenzuwirken.
Vorgehen in der Sexualtherapie nach Sexocorporel
Bei meiner therapeutischen Tätigkeit arbeite ich mit dem Modell Sexocorporel. Es ist ein Modell, dem die Einheit von Körper und Geist zugrunde liegt. Neben Gesprächstherapie werden auch Körper- und Wahrnehmungsübungen angeleitet. Diese können dann in einem weiteren Schritt zu Hause intensiviert und wiederholt werden. Die Übungen sind auf das Anliegen eines/einer Klient:in abgestimmt und stützen die Ressourcen.
Konkret bedeutet das Folgendes: In der Sexualtherapie evaluiere ich zunächst, wie sich die Erektionsschwierigkeit zeigt, seit wann sie besteht und in welchen Situationen sie vorkommt. Medizinische Faktoren kläre ich ab und beziehe diese in die Anamnese ein. Die Einnahme allfälliger Medikamente wird ebenfalls berücksichtigt und ggf. miteinbezogen. Für die Gespräche sind die nachfolgenden Schritte zentral für mich:
Therapeutische Schritte
- Aufzeigen der Stärken und Ressourcen eines Klienten, um diese bei der Therapie einzubeziehen.
- „Verständnis für den Penis entwickeln“: Das bedeutet, dass der Klient versteht, dass seine Handlungen, Gewohnheiten und Denkweisen die Erektionsschwierigkeit beeinflussen und ggf. auch verursachen.
Wenn dieses Fundament besteht, können Übungen eingebaut werden und den Stärken und Ressourcen des Klienten angepasst werden.
Übungsbeispiele
- „Kennenlernen des Penis“: achtsame Berührungen im Alltag einbauen, Fokus auf den Körper lenken und die dabei entstehenden Wahrnehmungen würdigen. Das Erleben ist zentral!
- Beckenschaukel (hier ein Beispiel im Stehen)
- Mit der Beckenbodenmuskulatur spielen (zunächst ohne Erregung)
- Bauchatmung zur Förderung und Verbindung der Emotionen und dem Bezug des Penis
- Weiche und sinnliche Bewegungen einbauen und damit spielen
- Einbezug der Stimme für mehr Genussfähigkeit
Klingt doch ganz einfach, oder? Doch das ist es meistens nicht. Also kein Druck!
Wichtig zu beachten ist: Diese Umsetzung braucht Zeit! Der Körper braucht Zeit, um diese neuen Bewegungen, Erlebnisse und Wahrnehmungen zu verarbeiten. Beim Üben in der Solosexualität kann es immer zu Rückschlägen kommen, bevor man sich sicher und wohl im Körper fühlt. Je mehr Wiederholungen stattfinden, desto mehr positiv besetzte Verknüpfungen können zwischen Körper und Gehirn gemacht werden. Auch das beginnende Üben in der Solosexualität ist zentral, um an Sicherheit in Bezug mit der Erektion zu gewinnen. Wenn die Wahrnehmung im eigenen Körper zunehmend steigt, und der Klient gelernt hat, bei „sich zu bleiben“, kann die Erektionsfähigkeit zunehmen und auch in der Paarsexualität gelingen.
Ohne Druck hast du es in der Hand deine Erektion zum Höhenflug zu bringen!
Literatur
K. Bischof, A. Bischof-Campbell, S. Fuchs, (2020): Ausbildung in Sexocorporel, Heft 4
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